Leipzig. Der Mann hat eine Leidenschaft. Eine Leidenschaft in Form eines eiförmigen Balls, der möglichst schwungvoll in die gegnerische Endzone getragen werden sollte. Ergänzt wird dies durch eine Liebe zu knackigen Tackles, zentimetergenauen Pässe und artistischen Interceptions. Ja, Fred Armstrong lebt und atmet American Football. „Ich hab den besten Job der Welt“, sagt er mit einem breiten Lächeln. Dieser Job hat ihn mit einem Schlag nach Leipzig geführt: Nach einem überraschenden Telefonklingeln und (winziger) Nachdenkpause war klar – diese Aufgabe als Headcoach der funkelnagelneuen Leipzig Kings konnte er überhaupt nicht ablehnen.
Ja, Darlene Armstrong kann sich noch richtig gut an den Moment erinnern, an dem im fernen Idaho das Telefon klingelte. 3 AM war es, amerikanischer Zeit wohlgemerkt, also mitten in der Nacht. „Da wurde Fred gefragt, ob er nicht in Deutschland ganz bei Null anfangen möchte“, erzählt sie und ergänzt mit einem Lächeln: „Natürlich war sofort klar, dass dies genau sein Ding ist.“ Gut, ganz überraschend kam das folgende Kofferpacken für Ms. Armstrong ja eigentlich nicht – denn wenn man bei einem American-Football-Coach das Ja-Wort gibt, müsse man sich über eine Sache im Klaren sein: „Wir sind mal in zehn Jahren sechsmal umgezogen – dies ist nun mal so, wenn man einen Football-Coach geheiratet hat.“ Und Fred Armstrong wiegt den Kopf sacht und erklärt: „Hinter jedem guten Coach steht eine Frau, die ihm den Rücken freihält.“
Dabei gibt es eine spannende Story darüber, wie aus dem US-Amerikaner eben dieser Football-Coach wurde – darauf macht Darlene mit Nachdruck aufmerksam und erzählt von dem Armstrong’schen Besuch in der „Hall Of Fame“ in Canton, Ohio. „Da war er gerade mal neun Jahre alt. Und als er dann mittendrin stand in dieser Hall Of Fame, mit all den Bildern von Spielern und Trainern – da wurde Fred sofort klar: Ich will Coach werden“, berichtet sie mit einem Lächeln und der Angesprochene nickt versonnen. „Genauso war es“, ergänzt der Kings-Headcoach: „Und das spannende an der Sache ist doch, dass mir mein Vater genau die gleiche Geschichte erzählt hat, als mit meinem Opa in Canton war.“ American Football liegt also unbedingt und auf jedem Fall im Armstrong’schen Familienblut.
Womit die Entscheidung mit Blick auf den Ball oder besser gesagt die Form des Balls schon in der Kindheit gefallen war. Denn diesen Unterschied zu Deutschland kennt die Familie Armstrong schon ganz genau: Hierzulande gibt es meist einen Ball, der die Form eines Fußballs hat; in den USA stehen drei Varianten (Baseball, Basketball und Football) zur Auswahl. Nun, Fred Armstrong ist mit „seiner“ Wahl mehr als zufrieden: „In my heart it’s my sport.“ Und er blickt dann auch mal ein wenig tiefer hinein, unter die Oberfläche der Spielzüge von Offense und Defense, unter die Tackles, Interceptions, Fumbles und natürlich Touchdowns. „Dieser Sport gibt mir so viel. Und er hat mir so viel beigebracht“, überlegt er: „Er hat mir beigebracht, ein besserer Mensch, ein besserer Ehemann, ein besserer Vater zu sein. Ja, ich brenne für das, was American Football sein kann – so wunderbar divers und vielfältig. Allein schon, was in den Mannschaften für eine Vielfältigkeit drinsteckt! Yes, I like this!“
Mit den Jahren hat sich daraus – nun ja – tatsächlich so etwas wie ein Sendungsbewusstsein entwickelt – verbunden mit der typisch Armstrong’schen Neugier und Risikobereitschaft. Schon im Jahr 1991 machte er sich auf den Weg über den großen Teich, die Leidenschaft für American Football im Gepäck und die Lust am Coachen ebenfalls dabei. Die Vita liest sich bemerkenswert: Im schwedischen Stockholm übernahm er die Solna Chiefs und führte sie umgehend zur nationalen Meisterschaft. Wohl auch deshalb muss Fred Armstrong lächeln, wenn man ihn nach der eigenen Homebase, der Heimat fragt: „Naja, 20 Jahre lang war Stockholm meine Heimat, in den letzten zehn Jahren war es Idaho und im Herzen trage ich natürlich New Jersey.“ Und dann erzählt er davon, dass es da einen ganz schweren Moment gab im Jahr 2021 – auch wieder einer, der mit einem Telefonklingeln zu tun hat, nur dass diesmal Stockholm am anderen Ende war. Mit einem Jobangebot: „Das war schon schwer für mich, dort abzusagen. Aber Leipzig ist die perfekte Stadt, um in Sachen American Football etwas aufzubauen.“
Nun, der Kings-Headcoach muss es wissen – er kennt auch die Stuttgart Scorpions (dort wurde er 1998 als European Federation of American Football Coach of The Year ausgezeichnet), er hat in München gearbeitet und in Österreich, war Nationaltrainer in Tschechien und schnupperte sowohl mit den Giants als auch den Jets in New York die National-Football-League-Luft. Inzwischen, davon ist er überzeugt, ist American Football längst ein globaler Sport. Womit für ihn auch die Sinnhaftigkeit der Leipzig Kings klar ist – auch wenn die gewissermaßen in einer Hauruck-Aktion als Team der European League Of Football (EFL) aus dem Boden gestampft wurden. „Es gibt einen großen Unterschied zu den 90-ern“, überlegt Fred Armstrong: „Inzwischen gibt es auch in Europa viele Hunderte Spieler, die in den USA auf einem sehr hohen Niveau Football gespielt haben und dies auch weiterhin tun wollen – denen gibt man mit der EFL eine sportliche Plattform. Diese Kids sollen eine professionelle Liga mit einem Niveau bekommen, das sie auch verdienen.“
Wobei er überhaupt keinen Gegensatz zum Amateursport sieht – ganz im Gegenteil. Die Welt des College-Footballs ist dem Headcoach alles andere als fremd und wenn er in seiner neuen Heimat Leipzig auf Vereine wie die Lions und die Hawks blickt, sagt er voller Überzeugung: „Es war das Erste, was wir hier vor Ort gemacht haben – Kontakt zu den Leipziger Vereinen zu suchen. Denn die braucht es als Basis für American Football. Und am Ende eint uns eine Idee: Wir wollen diesen Sport in Europa, in Leipzig groß machen.“
Ja, diesen Traum hat Fred Armstrong auf jeden Fall – er träumt von den „Leipzig Homeboys“, den Footballern mit lokalen Wurzeln, die angefeuert von 10.000 Zuschauern auf den grünen Rasen laufen. Noch ein Traum, aber einer, der Realität werden könne – weshalb er sein Engagement in der Messestadt auch langfristig über drei Jahre angelegt. Und von Schlüsselspielern wie Quarterback Michael Birdsong eine ähnlich langfristige Denke abverlangt. „Da hatte ich von vornherein gesagt – ich brauche dich für zwei Spielzeiten“, erklärt er. Denn er will sie formen, diese Kings. Entwickeln, weiterbringen, die guten Dinge besser machen (dies ist die grundlegende Philosophie von Fred Armstrong), aus einer großen Zahl an Spielern ein kompaktes Team, eine echte Einheit formen. „Wahnsinn: Wenn man sieht, wo die Spieler beim ersten Try-out waren und wo sie heute sind.“
Denn dieses erwähnte „Bei-Null-Anfangen“ ist nicht einfach so dahingesagt, davon kann Darlene Armstrong einige Geschichten erzählen. Davon, dass gerade mal vier Tage vor dem ersten Liga-Spiel die Helme in Leipzig eintrafen und „gerade mal eine Woche vorher die Spielbekleidung“. Ja, diese Kings sind mit der heißen Nadel gestrickt – was man auch an der Besetzung der Trainerbank sieht: Normalerweise sollte sich da ein gutes Dutzend kompetenter Leute tummeln, in Leipzig hat Fred Armstrong gerade mal einen Stab von vier Coaches. Da stößt man auch schon mal an Grenzen – Leidenschaft hin oder her. Da kam beispielsweise die Pause nach der Partie gegen die Hamburg Sea Devils. „Outcoached and outplayed“, habe man sich im Juli gefühlt. Ausgebrannt auf der ganzen Linie gewissermaßen: „Und nach der Pause kamen die Trainingstage, die richtig gut waren.“ Der Erfolg kam umgehend: Die Play-offs sind gerade nach dem starken 42:24-Erfolg über die Centurions aus Köln sind nach wie vor in Reichweite – aus eigener Kraft, wohlgemerkt. Was für ein starker Auftritt im Premierenjahr.
Da fällt das Bleiben leicht. Auch, weil sich Familie Armstrong schon heimisch fühlt in Leipzig. Und Darlene schwärmt vom kulturellen Reichtum der Messestadt und dies in einer – zumindest aus US-amerikanischer Sicht – überschaubaren Größe. Und Fred Armstrong hat nicht nur sein Herz für Leipziger Lerche und „Pretzel“ im Originalformat entdeckt, sondern auch den heimischen Alfred-Kunze-Sportpark als Spielstätte der Leipzig Kings längst als Heimat angenommen. „Ist ja auch eine Spielstätte mit Tradition. Und ich gebe es gern zu: Als beim ersten Heimspiel da 2600 Leute auf den Tribünen waren, war das schon eine Riesenüberraschung.“ Dann kommt er durch, der klassische Football-Trainer – als einer, der immer das große Ganze im Auge hat. Mit seinen Kings war er schon im AKS beim Unkrautjäten unterwegs. Allein schon aus Respekt vor dem Spielort. Und als gemeinsame Team-Erfahrung.
Davon ist Fred Armstrong zutiefst überzeugt: American Football hilft, ein guter Mensch zu werden, zu sein. Und er führt sich selbst als bestes Beispiel an: „Ich habe den besten Job der Welt – eben weil ich diese Plattform habe, um junge Menschen zum Positiven zu entwickeln. Da denke ich nicht mal über das Gewinnen oder Verlieren nach, ganz ehrlich.“ Eine Sicht der Dinge, die er zu gern noch weiter transportieren möchte – an Leipziger Schulen zum Beispiel. Mit der klaren Botschaft: Dieser Sport in seiner Vielfalt vom klassischen American Football bis zum Flag Football ist für alle da. Für Mädchen und Jungen gleichermaßen, für ambitionierte Profis und Leute, die einfach nur Spaß am Spielen haben. „Kommt und probiert es aus“, öffnet er die Tür für alle und dies mit dem breitesten Lächeln, das man sich vorstellen kann: „Schnuppert die Atmosphäre, lernt die Kultur dahinter kennen, die Emotionen, die Leidenschaft.“ Ja, einen besseren Botschafter für diesen Sport kann man sich kaum vorstellen … Jens Wagner