Die Fülle und Vielfalt der Schätze des Schlossmuseums in Altenburg beeindrucken Jutta Reinisch und inspirieren sie zu vielen Vermittlungsideen. Foto: Ralf Miehle

Altenburg. Seit fast drei Monaten lebt und arbeitet Jutta Reinisch inzwischen in ihrer neuen Heimat Altenburg. Hört man ihr zu, dann muss man diesbezüglich gar nicht erst nachfragen. Aus allem, was sie erzählt, wird klar: Sie fühlt sich angekommen an diesem Ort, der ihrer Familie und ihr nun Heimstatt bietet und angekommen vor allem auch in ihrem neuen beruflichen Umfeld, das jetzt einen Hauptteil ihres Alltags bestimmt.

„Im Residenzschloss zu arbeiten, ist sehr schön“, gerät sie ins Schwärmen, „es ist ein gutes Miteinander mit den Kolleginnen und Kollegen. Einige gehören schon seit langem zum Team des Museums, entsprechend viel können sie beisteuern an Erfahrungen und Erlebtem und hilfreichen Hinweisen. Alle arbeiten sehr freundlich und kollegial zusammen“, so das Resümee der Kunsthistorikerin. Und in Altenburg selbst lasse sich noch viel entdecken, fügt die zweifache Mutter hinzu. Die ersten Schritte sind längst getan, von der Eroberung des Inselzoos, der wohl zu den Klassikern für jede Familie gehört, bis hin zur Entdeckung all der architektonischen Schönheit der Stadt und der unzähligen kleinen, malerischen Winkel in den Gassen und Gässchen.

Ganz unbekannt indes war Jutta Reinisch die Skat- und Residenzstadt auch vor der Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit im Residenzschloss nicht. Vier Jahre lang arbeitete sie auf Schloss Friedenstein in Gotha. Dort stieß sie bereits auf die vielschichtigen Verbindungen zwischen Residenz und Nebenresidenz im einstigen Herzogtum. Doch ihr Radius umfasste ganz Thüringen: „Von Gotha aus habe ich Meiningen, Rudolstadt und all die anderen Residenzstädte der Ernestiner in Thüringen mit ihren großartigen Kunstsammlungen besucht, natürlich auch Altenburg.“

Im Residenzschloss Altenburg hat Jutta Reinisch zum 1. Juni als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Nachfolge von Uta Künzl angetreten, die 2020 nach langjährigem Wirken im Schloss- und Spielkartenmuseum in den verdienten Ruhestand gegangen ist. Als Kuratorin für Kunstgewerbe übernahm Jutta Reinisch unter anderem die Verantwortung für einen umfangreichen Bestand an Porzellan, Glas, Keramik, Lackkunst und Metallarbeiten, darunter das weitgehend original erhaltene Sybillenkabinett, das zu den Kostbarkeiten des hiesigen Museumsbestands gehört.

Auf ihren ersten Rundgängen durch die Sammlungen des Hauses war die Expertin fasziniert davon, welch umfangreichen und hochwertigen Bestand das Residenzschloss beherbergt. „Gerade das ostasiatische Porzellan der Lindenauʼschen Sammlung ist von hoher Qualität“, nennt sie ein Beispiel. Damit ist sicher: Der Kuratorin wird auf Jahre hinaus reichlich Stoff für Entdeckungen und aktive Museumsarbeit bleiben. „Ich betreue die Bestände konservatorisch und erforsche sie und werde auch an der zeitgemäßen Neupräsentation der Kunstschätze im Schloss mitarbeiten“, umreißt unsere Gesprächspartnerin einen Teil ihrer Aufgaben.

Besonders wichtig ist Jutta Reinisch das Gestalten von Ausstellungen: „Ich nehme zunächst das von Uta Künzl vorbereitete Ausstellungsprojekt zur Trauer- und Begräbniskultur wieder auf, das im vergangenen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie auf 2022 verschoben werden musste. Im Barock bestimmten Sterben und Tod einen großen Teil des Lebens, die Trauer folgte einem strengen Zeremoniell. Aber der Tod betrifft uns alle. Wir trauern, über alle Zeiten hinweg. Welchen Ritualen und Vorschriften folgen wir? Ist auch unsere Trauer von einem solchen engen Regelkorsett umschlossen? Für mich ist entscheidend, dass Besucher und Besucherinnen in der Ausstellung eine Verbindung zu sich selbst, zu ihrer Lebenswelt und Gegenwart herstellen können. Im Idealfall konfrontiert ein Museumsbesuch mit überraschenden Zusammenstellungen und Blickwinkeln und regt zu eigenen Fragen und zur Suche nach Antworten an.“ Und Ideen für weitere Ausstellungen hat sie ebenfalls schon. „Ich bin hier von so viel Kunst umgeben, da brauche ich auf Inspiration nicht lange zu warten“, lacht sie.

„Ausstellen heißt für mich Geschichten erzählen“, so lautet eine Maxime von Jutta Reinisch. Das Museum stehe immer zwischen der reinen Wissenschaft und der Öffentlichkeit. Die vier Kernaufgaben des Museums – sammeln, bewahren, forschen und vermitteln – sind für sie alle gleich wichtig. Gerade der vierte Aspekt erlangt aber zu Recht immer mehr Bedeutung, denn „nur dadurch, dass das Museum in seinen Ausstellungen und Veranstaltungen Bildung und Einsichten vermittelt und den Blick weitet, erfüllt es seine Rolle im Gesellschaftsvertrag“, begründet sie diese Schwerpunktsetzung.

Die graue Theorie aber füllt sie mit Leben, das ist ihr ungemein wichtig. Die Kuratorin sinnt immer wieder nach Formen und Methoden der lebendigen, auch emotionalen Vermittlung: „Herz und Kopf berühren“ möchte sie. Auf dass Museumsbesucherinnen und Museumsbesucher erkennen mögen, was Kunst zu geben imstande ist. Darum stellt sie sich stets neu die Frage: „Was bringt es den Besucherinnen und Besuchern? Warum lohnt es sich, unser Haus, unsere Ausstellungen und Veranstaltungen zu besuchen?“

Es gehe darum, Anregungen zu vermitteln, ein Weiterdenken anzustoßen, das weit über den Museumsbesuch hinaus reicht, „so wie man es erlebt nach der Lektüre eines guten Buches“. Ihr Ziel ist es, starke Bilder und Töne zu finden, die noch lange nachhallen.

Vielgestaltige Erfahrungen im Museumswesen, in der Forschung und Lehre sowie in der Vermittlung hat die Kunsthistorikerin bisher bereits umfangreich erworben. „Schon im Studium“ (sie studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte in Heidelberg, Rom und Berlin) „habe ich zwei Schwerpunkte ausgebildet, Graphik und Malerei des 19. Jahrhunderts und Kunstgewerbe“. Auch ihre Dissertation hat sie über Druckgraphik des 19. Jahrhunderts geschrieben.

Schon bald wusste sie, dass sie am Museum tätig sein wollte, „ganz nah an der Kunst und im Kontakt mit Besucherinnen und Besuchern“. Ihr Weg führte sie zunächst auf Schloss Friedenstein in Gotha. „Ich war unter anderem zuständig für Pressearbeit, habe aber auch in schneller Folge Bücher publiziert, neben Katalogen auch Kinderbücher. Vor allem aber habe ich an der Qualität der museumspädagogischen Angebote gearbeitet und auch selbst in mehreren Sprachen durch die Museen geführt. Sollte also einmal eine italienische Schulklasse nach Altenburg kommen, bin ich vorbereitet.“

Jutta Reinisch verließ Gotha, um am Hessischen Landesmuseum Darmstadt Ausstellungen zu gestalten. „Eine davon war eine große Ausstellung zu einem Konvolut barocker Oberteile aus dem 17. Jahrhundert. Textilien sind meist so fragil, dass jede noch so kleine Erschütterung den Zerfall der feinen Gewebe beschleunigt. Nur wenige Stücke sind auf uns gekommen, weil man die Kleidung so lange trug, bis sie einem vom Leibe fiel – und selbst dann wurde noch Verwertbares herausgeschnitten und wiederverwendet. Dass sich so viele dieser seltenen historischen Kleidungsstücke – über zwanzig! – in einem Museum finden, ist einzigartig. Man konnte mit ihnen ganz plastisch die Entwicklung der Mode zeigen. Die Obrigkeit verbot immer wieder in ihren Kleiderordnungen die neuesten modischen Auswüchse und wachte darüber, dass die Standesgrenzen auch in der Kleidung gewahrt wurden. Und an der historischen Kleidung kann man dann erkennen, wie die Leute die strengen Vorschriften zu umgehen versuchten – ein Karussell, das sich immer schneller drehte.“

Bei einer weiteren, zu ihrer Freude sehr erfolgreichen Ausstellung zu den „Kunstformen der Natur“ und ihrem Einfluss auf die Kunst legte Jutta Reinisch selbst Hand an, rahmte graphische Blätter und präsentierte kunstgewerbliche Objekte. Die 100 „Kunstformen der Natur“, Steindrucke des Zoologen Ernst Haeckel, zeigen vor allem „Urtiere“, mikroskopisch kleine Lebewesen aus dem Meer. „Und die Künstler stürzten sich um 1900 auf diese nie gesehenen Formen“, so die Kunsthistorikerin, die ergänzt: „Spuren der fruchtbaren Auseinandersetzung mit der Natur finden sich in der Architektur, in Schmuckentwürfen, Jugendstilvasen und Möbeln bis hin zu 3D-gedruckten Leuchten zeitgenössischer Designer.“

Ab November 2017 gab Jutta Reinisch ihre praktische Museumserfahrung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf weiter: Sie koordinierte einen Master-Studiengang zu Kunstvermittlung und Kulturmanagement. Dort lehrte sie zu kunsthistorischen Themen und dazu, wie das Museum in einen Dialog mit dem Publikum treten und Kunst verständlich vermitteln kann.

In diese Zeit fällt ein großes Ereignis in ihrem Leben: 2018 sind ihre Zwillinge geboren, die sehr viel Aufmerksamkeit der Eltern beanspruchen. „Wir haben sie aber bald schon im Tragetuch in Ausstellungen mitgenommen“, merkt unser Frühstücksgast mit einem Schmunzeln an. Schnell haben auch die beiden Töchter ihren neuen Kindergarten in Altenburg angenommen, sie fühlen sich ebenso wohl in der Stadt wie ihre Eltern. Und bald schon können sie noch viel mehr entdecken in der altehrwürdigen Residenzstadt, in den vielfältigen Angeboten des Schloss- und Spielkartenmuseums, im Studio Bildende Kunst des Lindenau-Museums, in Dauer- und Sonderschauen zu den schier unendlichen Kunstschätzen.

Dabei immer wieder neue Wege in der Präsentation und Vermittlung zu gehen, das ist Jutta Reinisch wichtig. „Ich habe Interesse an entlegenen, ungewöhnlichen Themen“, sagt sie und fragt sich in der Vorbereitungs- und Findungsphase stets: „Was ist für mich spannend? Welcher neue Blick, welches Thema könnte auch andere interessieren?“ Das nächste Mal mit einer sonntäglichen Themenführung im Schloss- und Spielkartenmuseum zu erleben ist Jutta Reinisch am Wahlsonntag, dem 26. September, um 14 Uhr. Dann heißt es: „Was man zeigt – und was nicht: Mode seit der Renaissance.“ Ralf Miehle

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