REGION. Die Bürokratie hält uns fest im Griff. Für Kommunalverwaltungen allerdings wird sie zunehmend zum Problem, weil sich der enorme personelle Aufwand etwa für das Stellen von Fördermittelanträgen kaum noch bewältigen lässt. Und bisweilen nimmt die ganze Sache auch skurrile Formen an.
Sachsen hat in Person von Wilhelm Ostwald einen Chemie-Nobelpreisträger. Und mit der nach dem gebürtigen Rigaer benannten Gedenkstätte im Grimmaer Ortsteil Großbothen einen Ort der Erinnerung noch dazu. Ein wenig zusätzliche Publicity für diesen könnte nicht schlecht sein, dachte sich Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger (parteilos) und schlug Gerda Tschira von der gleichnamigen, die Gedenkstätte tragenden Stiftung die Nutzung des Kreisverkehrs in der Wurzener Straße für Werbezwecke vor. „Über dieses mit dem Sächsischen Landesamt für Straßenbau und Verkehr diskutierte Thema sind weit über zwei Jahre ins Land gegangen. Man konnte den Eindruck gewinnen, es geht nicht um eine Werbefläche, sondern um ein Kernkraftwerk.“ Berger, Freund klaren, Worte, bemüht die Übertreibung, um die Tragweite des Problems zu verdeutlichen. „Im Vier-Augen-Gespräch sagt mir jeder, dass sich an den Zuständen etwas ändern müsste, aber es ändert sich nichts“, so der Grimmaer Kommunalchef. Und noch schlimmer: Berger glaubt auch nicht daran, dass sich in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Der ursprüngliche Zweck, mittels Fördermitteln politisch zu steuern, sei zwar der grundsätzlich richtige Ansatz gewesen.
„Aber der Apparat hat sich verselbständigt, mit dem Ergebnis, dass der Bürger nichts mehr versteht.“ Der Grimmaer OBM sieht zwar bei Sachsens neuem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) einen echten Willen, bestimmte Dinge zu vereinfachen, glaubt aber, dass dies eine Illusion bleiben wird. „Hier hat eine Entmündigung der Kommunen stattgefunden.“
Auch beim Sächsischen Städte- und Gemeindetages (SSG) sieht man in Anbetracht von über 100 verschiedenen Fördermittelrichtlinien die Notlage der Kommunen. Vor allem die kleineren unter ihnen stellten zunehmend keine Anträge mehr, weil die Befürchtung groß sei, dass der Aufwand den Nutzen von Fall zu Fall nicht rechtfertige. Seit den 1990er-Jahren hat sich laut SSG-Geschäftsführer Mischa Woitscheck das Problem zunehmend verschärft, weshalb er vorschlägt, mehr Fördergeld pauschal auszuzahlen und den Kommunen die konkrete Verwendung zu überlassen. Eine Forderung, die David Zühlke, Bürgermeister von Elstertrebnitz und damit bezogen auf die Einwohnerzahl der kleinsten Kommune im Landkreis Leipzig, sicherlich sofort unterschreiben würde. „Wir haben uns aber bislang nicht vor Fördermittelanträgen gescheut, in Elstertrebnitz gab es vielmehr in den letzten Jahren eine rege Bautätigkeit, und dies soll zum Nutzen der Einwohner und der Kommune auch weiterhin so Bestand haben.“ Zühlke bestätigt aber, dass der Aufwand, um an EU-Fördermittel zu gelangen, zunehmend gewachsen sei. „Für kleine Kommunen mit überschaubarem Personal wird es diesbezüglich immer komplizierter, und auch wir könnten diese Anträge als kleine Verwaltung kaum noch stemmen, profitierten wir in diesem Bereich nicht von der guten Zusammenarbeit mit der Stadt Pegau“, so der Elstertrebnitzer Kommunalchef.
Und nicht nur habe die Bürokratie sukzessive zugenommen, sondern zusätzlich lasse nicht selten auch die Formulierung von Förderrichtlinie zu wünschen übrig. „Die Kommunen werden auf eine falsche Fährte gelockt, und wenn dann der Ablehnungsbescheid eintrifft, hat man nicht selten schon viel Geld und Zeit in die Planung investiert“, beklagt Zühlke, der als aktuelles Beispiel für die Tücken der EU-Förderung den maßgeblich aus Mitteln aus dem Leader-Topf für die Entwicklung des ländlichen Raums finanzierten Parkplatz an der Elstertrebnitzer Kita anführt. „Das Projekt ist durch zig Gremien gegangen und hat uns rund zwei Jahre beschäftigt, was deutlich zeigt, dass insbesondere kleine Kommunen zunehmend überfordert sind.“ Roger Dietze