Leipzig. Letztlich war sie doch ziemlich kurz, die Ära Julian Nagelsmann in Leipzig – dabei hatte man sich im Lager von RasenBallsport Leipzig sicherlich erhofft, gemeinsam mit dem jungen Cheftrainer den ein oder anderen Titeltraum zu erfüllen. Langfristig, wohlgemerkt. Dennoch lohnt sich ein Rückblick auf die beiden Spielzeiten, die der 33-Jährige an der Seitenlinie der „Roten Bullen“ stand.
Nicht zuletzt, weil Julian Nagelsmann selbst in den letzten öffentlichen Auftritten im Dienst des Leipziger Bundesligisten schon auch mal den ein oder anderen Einblick gegeben hatte – etwa in der Pressekonferenz vor dem Liga-Abschluss gegen den 1. FC Union Berlin. „Ich bin grundsätzlich zufrieden mit der Entwicklung der Spieler“, gab er bei dieser Gelegenheit zu Protokoll – und gab auch einen Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen man als neuer Trainer zu kämpfen hat.
Gerade das erste Jahr sei alles andere als einfach gewesen, blickte er zurück: „Da war nicht vom ersten Tag die Offenheit für Veränderungen da.“ Klingt nach Bitterkeit, sei aber irgendwie verständlich gewesen – gerade in einer Mannschaft, in einem Verein, der auch ohne Veränderungen ganz gut da stand, vorne mitspielte, in vielen Punkten überzeugen konnte: „Eine menschliche Reaktion – da steht die Frage: Warum sollten wir die Dinge anders machen. Da musste man dann schon ein wenig mehr Überzeugungsarbeit leisten.“
Diese hat gefruchtet, soviel stand für Julian Nagelsmann zum Abschied fest – was sicherlich auch für eine erfolgreiche Zukunft der Mannschaft spricht. Die sich eben doch als lernwillig entpuppte – oder wie es der 33-Jährige formulierte: „Im zweiten Jahr war alles perfekt. Der Umgang miteinander, die Offenheit für die Ideen anderer Leute.“ In der Bilanz konnte er sogar feststellen, eine Einmaligkeit zum zweiten Mal erlebt zu haben – diesen Zusammenhalt bei gleichzeitiger Offenheit, die er einst bei der TSG 1899 Hoffenheim kennengelernt hatte. Auch dies ist eine bemerkenswerte Erkenntnis, die Nachfolger Jesse Marsch sicherlich interessiert aufgenommen haben dürfte, als Ansatzpunkt für die eigene Arbeit.
Wagt man sich an eine sportliche Bilanz der vergangenen beiden Jahre, schimmert in diesen Tagen wohl auch ein wenig Bitterkeit durch – da ist das verlorene Pokalfinale, das schwer auf der rot-weißen Seele lastet. Andererseits kann man schon nachvollziehen, was Julian Nagelsmann mit diesem Statement meinte: „Viel schlechter ist kein Spieler geworden in den vergangenen zwei Jahren.“ Dafür aber der ein oder andere schon ein ganzes Stück besser. Zudem gab das Fazit des zu dem Zeitpunkt gerade scheidenden Trainer auch mal einen interessanten Einblick in jene Eigendynamik, die der Mannschaftssport im Allgemeinen und der Fußball mit seiner Teamgröße im Besonderen in sich trägt.
„In der ersten Saison sind wir ein wenig aus der Balance gekommen“, blickte Julian Nagelsmann auf die Spielzeit 2019/2020 zurück. Und meint damit jener Verlust an defensiver Stabilität, die eigentlich zu den Kernpunkten der „Roten Bullen“ in der Rangnick’schen Prägung gehörte. Zum Vergleich: 2018/2019 kassierte RB Leipzig in der Bundesliga 29 Gegentore, in der Saison darauf 37. Dafür wiederum schoss man aber satte 81 Treffer, dank „mehr Ideen im eigenen Ballbesitz“, beispielsweise.
„In der zweiten Saison sind wir die defensive Stabilität angegangen“, meinte Julian Nagelsmann – mit Erfolg aus seiner Sicht: „Da konnten wir uns in alle statistischen Werten steigern.“ Man habe mehr Chancen kreiert (die dann allerdings nicht immer genutzt wurden – auch eine Ursache für den DFB-Pokal-Blues in der Messestadt), man habe defensiv deutlich stabiler gestanden und viel häufiger zu Null gespielt. Deshalb fiel die Prognose – nach der selbstverständlich auch gefragt wurde – schon positiv aus: „Ich habe auch große Dankbarkeit für die Spieler – jeder Trainer braucht am Ende auch eine Mannschaft, die an einen glaubt. Ich denke nicht, dass es nun einen großen Einbruch gibt: Jesse ist ein fähiger Trainer, RB ein fähiger Club und wir haben fähige Spieler verpflichtet.“
Das kann man so stehen lassen – auch, weil inzwischen viele andere Vereine finden, dass die Spieler in Leipzig fähig sind. Leider, mag die RBL-Fanseele nachschieben mit Blick auf die Tatsache, dass nun mit Ibrahima Konate bereits der zweite Innenverteidiger seine Koffer gepackt hat. Um am 1. Juni seinen Dienst beim FC Liverpool anzutreten. „Ich hatte eine fantastische Zeit bei RB Leipzig. Es war 2017 ein sehr großer Schritt für mich, aus Frankreich nach Deutschland zu wechseln“, blickt der 1,94-Meter-Abwehrturm auf seine Jahre in der Messestadt zurück. Das Unbehagen über den Aderlass in der Defensive sucht derweil Florian Scholz, kaufmännischer Leiter Sport bei RBL, zu zerstreuen: „Mit den Verpflichtungen von Mohamed Simakan und Joško Gvardiol haben wir bereits frühzeitig wichtige Transfers für die Defensive getätigt, um mögliche Abgänge sofort mit der entsprechenden Qualität und Perspektive zu kompensieren.“ Zudem seien mit diesen Personalien die Planungen des Vereins auch noch nicht abgeschlossen. Jens Wagner