Leipzig. Nein, Langeweile ist nicht in Sicht, beim besten Willen nicht. „Ich habe echt alle Hände voll zu tun in diesen Tagen“, überlegt Jörn Drewes – Musiker, Clubchef, Labelmacher, Netzwerker, kurz gesagt ein (sub-)kultureller „Hans Dampf in allen Gassen“ in Personalunion – und ergänzt: „Vor allem – etzt kann ich auch endlich mal wieder Künstler sein.“
Treffpunkt Ilses Erika, der schon ganz schön kultige Kellerclub gleich am Connewitzer Kreuz – längst ein Ort, der Kulturgeschichte geschrieben hat in Leipzig. Allerdings ist der Keller im Frühjahr 2021 von diesen Geschichten gefühlt Lichtjahre weit weg: Dort, wo sich sonst die „Party-People“ an der Bar drängeln, stapelt sich Technik aller Art – vom Scheinwerfer bis zur Kamera und auch der Dancefloor sieht eher wie ein Fernsehstudio aus. Und mittendrin steht Jörn Drewes, „Ilses Erika“-Macher, und erklärt mit einer gewissen Versunkenheit: „Ich begreife diesen Club als unseren Abenteuerspielplatz. Die meisten Dinge passieren auf eine ziemlich spielerische Art und Weise.“ Und mit einem Lächeln ergänzt er: „Ich mag absurde Ideen.“
Das Spannende daran – mit dieser Einstellung war er einst mit seinen Mitstreitern das richtige Team am richtigen Ort. Angelockt von „diesem Spirit des Unfertigen, des Wilden, des Verfallenen“ hatte er sich dereinst ganz gezielt, ganz bewußt die Stadt Leipzig ausgesucht als den Ort zum Studieren. Natürlich mit einer Vision im Hinterkopf, die sich ziemlich flott im Keller vom Haus der Demokratie materialisieren sollte. „Erstaunlich, wie wir damals offene Türen eingerannt hatten“, erinnert er sich: „Irgendwie war damals jeder auf der Suche nach einem Ort, an dem alles möglich war. Dabei stand der Begriff Club damals eigentlich vor allem für Musik, für Techno und so.“ Was schließlich am 1. Oktober 1998 im Leipziger Süden aufgeschlossen wurde, war dann schon eine etwas andere Geschichte – klar, ein Ort für Musik, unbedingt, aber auch immer wieder für die schon erwähnten absurden Ideen. „Dabei war der Wahnsinn, der dann hier los war, den hatte es auf jeden Fall vorher schon in unseren Köpfen gegeben“, blickt er lächelnd auf eine inzwischen beinahe 24-jährige Kellerclub-Geschichte zurück. Mit Höhen und Tiefen, mit grandiosen Siegen und ebenso heftigen Niederlagen – aber immer mit dem dezenten Schuss Wahnsinn.
Vielleicht ist es dieses „Auch-mal-zwischen-den-Stühlen-Denken“, das gerade auch in diesen Tagen hilft. In einem Ruhezustand, der an feucht-fröhliche Kellerabende nicht mal ansatzweise denken lässt – und dies wohl auch zu Recht, wie Jörn Drewes erklärt. „Das erste Streaming-Konzert hatten wir im letzten Jahr schon eine Woche nach dem Cut gemacht“, erinnert er sich: „Dann haben wir schnell das Open-Stage-Format aufgesetzt.“ Einfach machen, einfach loslegen. Und sich alle denkbaren Leute reinholen ins Boot, Sebastian Krumbiegel, Tim Thoelke, Ralf Donis. Ganz nach dem Motto: Mehr Comedy wagen. „War schon auch ein Testballon“, der dann auch ausgezeichnet geflogen ist. Fortsetzungen folgten – vom digitalen Adventskalender bis zur aktuellen Jackie-Müller-Show mit Schauspieler Benedikt Hösel, die gerade in die zweite Staffel gestartet ist. Ja, genau deshalb sieht der Kult-Keller gerade aus wie ein Fernsehstudio.
Es ist aber irgendwie viel zu kurz gegriffen, Jörn Drewes auf „Ilses Erika“ zu reduzieren. Liegt auch daran, weil er dieses Club-Ding stets als Fortsetzung des künstlerischen Selbst verstanden hat. Und manchmal ordentlich darunter gelitten hatte, wenn ersteres das zweite aufgefressen hatte. Deshalb das Lächeln bei der Feststellung, endlich mal wieder Künstler sein zu können. Was vor allem heißt, Musiker zu sein. „Die schönsten Momente sind jene, wenn aus einem Stück Musik auf einmal ein Song wird“, erklärt er – da ist es wieder, dieses Ding von dem „mehr als die Summe der einzelnen Teile“, von dem einst Peter Thiessen mit Kante gesungen hatte und von dem Jörn Drewes ganz genau weiß, was damit gemeint ist. „Habe ich damals schon mit 13 Jahren erlebt“, erinnert er sich: „Damals wollte man einfach cool sein und eine Band auf die Beine stellen. Ganz nach dem klassischen Motto: Du spielst dies und du das. Und dann musste man erst einmal jemanden finden, der einem das mit dem Spielen auch beibringt.“
Nun, das hatte ganz gut funktioniert, wenn man auf die Reihe an Bands schaut, in denen er – gern auch mal unter dem Synonym Bob Wester – hier in Leipzig am Start war: Willkommen Zuhause, Laika und L.A. Love, Reitler und gerade aktuell Widerstand der Dinge. Da übrigens mittlerweile unter dem Moniker Jo Erlbacher, was durchaus einen gewichtigen Hintergrund hat, von dem noch die Rede sein wird. Letztere haben gerade eben mit „Schnauzer halten“ eine neue Platte gemacht: „Da konnten wir noch nicht mal auf die Pauke hauen beim Release.“ Gut, aufgeschoben ist nicht aufgehoben und außerdem gilt eh: „Musikmachen ist eine Herzensangelegenheit.“ Keine von Ruhm und Geld – eher eine von den erwähnten erhabenen Momenten und dem Gefühl des Gemeinsamen. „Natürlich gibt es auch im Musikerleben stets gute und schlechte Phasen – wobei mir persönliche das zyklische und konzentrierte Arbeiten beispielsweise im Proberaum schon liegt“, die strikte Fokussierung auf ein Ziel, auf ein Ergebnis, auf eine Platte in diesem Falle. Mit einem leisen Lächeln ergänzt er: „Wobei – für dieses dreimal in der Woche im Proberaum habe ich keine Zeit mehr. Möglicherweise ein Vorteil des Älterwerdens: Diese gewisse Leichtigkeit hilft bei der Kreativität schon ungemein.“
Und als wäre dies alles miteinander nicht schon dicke genug für 25 Stunden am Tag, gibt es da ja auch noch ein Label. Oder vielleicht besser gesagt eine Plattform zum Veröffentlichen, Verbreiten, Nach-Draußen-Bringen. „Dran“ heißt das Ganze und aufgesetzt hatte es Jörn Drewes nun schon vor einiger Zeit gemeinsam mit Uwe Schimunek – eigentlich eher als Autor bekannt. „Auch da geht es nicht um Fame“, meint Jörn Drewes.
Inzwischen hat sich das Projekt „Dran“ auch schon wieder ordentlich verselbstständigt. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, der nächste Teil – gewissermaßen. „Derzeit bringen wir beinahe alle 14 Tage irgendwas raus“, überlegt der Labelmacher. Und dann macht er schon mal Appetit auf einen (hoffentlich) musikalischen Sommer: „Dann soll es ein Dranfest geben, am besten mit drei, vier neuen Platten im Gepäck.“ Und mit Widerstand der Dinge, na klar. Vielleicht auch mit Wir sind es selbst, die nächste, aktuelle Musik-Inkarnation von Jörn Drewes: „Vor einiger Zeit waren wir da bei einer Produktion in Frankfurt – das war richtig spannend. Naja, ich bin nun mal ein großer Freund von Brücken und Synergien.“
Was einen am Ende des Tages zu Jo Erlbacher führt und damit das kleines Dörfchen Erlbach im Leipziger Land – die nächste Station eines Rastlosen. Hier hat Jörn Drewes etwas gefunden, was er schon als 15-Jähriger gesucht hatte – einen Lichtblick, eine brückenschlagende Vision. Ein eigener Hof als Ort, an dem Platz geschaffen werden kann für Kreativität – ganz gleich, ob bildende Kunst oder Musik. Am besten sei es eh, wenn sich alles vermengt. „Es wäre doch großartig, wenn man all die Dinge, die hier in der Großstadt Leipzig gehen, auch auf das Land mitnehmen kann“, überlegt er und ergänzt: „Ja, da habe ich schon auch die Hoffnung, dass sich hier diese beiden Punkte berühren – das großstädtische Leben und das Leben auf dem Dorf.“
Und wenn sich Jörn Drewes umschaut in seinem Fernsehstudio Ilses Erika, schwingt ein wenig Wehmut mit bei der Erkenntnis, dass der Kellerclub ein publikumsfreies Dasein fristen muss. „Man kann Club-Atmosphäre nicht digital aufsetzen. Da fehlen die Physis, der Bass im Bauch, die Lautstärke, die Enge und die Gerüche – Dinge, um die es im Clubbing doch geht.“ Und mit einem Lächeln ergänzt er: „Außerdem fehlt der Aspekt des Unerwarteten. Das Gespräch mit Unbekannten, die man vor ein paar Minuten noch gar nicht gekannt hatte …“ Jens Wagner
Die zweite Folge des Jackie-Müller-Show ist online – Infos gibt es auf der Facebook-Seite facebook.com/ilseserika/.