Leipzig. „Eigentlich wollte ich ja mal mit 65 ein wenig kürzertreten – dafür ein bisschen mehr spielen“, überlegt Dieter Richter mit einem versonnenen Lächeln. Naja, inzwischen hat der gestandene „Pfeffermüller“ am vergangenen Samstag seinen 70. gefeiert, aber von Kürzertreten kann in diesen Tagen keine Rede sein. „Die ’Pfeffermühle’ ist schließlich mein Zuhause, hier habe ich im Alter von 29 Jahren angefangen“, erzählt der Kabarettchef – da ist Aufgeben auch in Corona-Zeiten keine Option: „Wir sind allesamt nicht gewillt aufzugeben. Und wir haben unseren Humor noch nicht verloren.“
Da geht der rüstige Chef der „Pfeffermühle“ dann auch gern mal in den Ring, in den Infight mit der Bürokratie und anderen Hindernissen, um für das traditionsreiche Ensemble zu kämpfen. Mit einem Augenzwinkern verrät erzählt er dann auch schon mal davon, wie er einst als kleiner Steppke eine kurze, geradezu schillernde Box-Karriere hingelegt hatte. Bis hinauf zu ersten Meisterschaften auf Bezirksebene schon nach ein paar Wochen Training, leicht, aber erfolgversprechend – bis es dann eine Dokumentation über die Spätfolgen von Boxkämpfen war, die den sportlichen Ambitionen den Garaus machte. Wegen immer drauf auf den Kopf. Zum Glück, mag man heute sagen: Der Kopf ist ebenso heil wie wach geblieben, aber auch der Kampfgeist hat sich erhalten – ebenso wie der Ehrgeiz, immer wieder neue Herausforderungen anzugehen. Nur eben auf der kabarettistischen Bühne.
Allerdings muss diese in diesen Zeiten leer bleiben. Ach je, dieses Virus! Was wurde die „Pfeffermühle“ ausgebremst von Corona! Dabei war man doch drauf auf der Erfolgsspur, berichtet Dieter Richter: „Der Herbst 2019 war fantastisch, eigentlich die beste Zeit, die wir mit der ’Pfeffermühle’ jemals hatten.“ Das eigene Haus in der Katharinenstraße war allabendlich gut gefüllt, die Tourneen – zweites, wichtiges Standbein des Ensembles – liefen gleichfalls ausgezeichnet und der Sekt war längst kaltgestellt. Es stand Großes vor der Tür, Jubiläen noch und nöcher. Zum Auftakt lockte der 66. Geburtstags des Leipziger Traditionskabaretts, die Einladungen für den März 2020 waren längst raus, das Ensemble zum gemeinsamen Spiel zusammengetrommelt. Bis die Vollbremsung kam. Eine Woche vor den großen Geburtstagsfeierlichkeiten mussten die Türen geschlossen werden. Lockdown – ein Begriff, den man damals weder kannte, noch richtig einordnen konnte! – war angesagt, auf einmal war alles (und zwar wirklich alles!) zu. Die „Pfeffermühle“ selbstredend eingeschlossen.
Eine harte Probe für jenen Mann, den man mit Fug und Recht als „Pfeffermüller mit Haut und Haaren“ bezeichnen darf. Der dieses Kabarett als Zuhause betrachtet und der zu gern einlädt in dieses Zuhause. „Jetzt wollten wir eigentlich unser 67. Jubiläum feiern und stehen wieder vor der gleichen Situation, dass dies nicht möglich ist“, und dann zählt Dieter Richter all jene Geburtstage auf, die es da eigentlich noch zu begehen gäbe – das zehnte Jahr am Spielort in der Katharinenstraße, sein 40. Jubiläum an der „Pfeffermühle“ wäre da ebenso wie das 55. Richter’sche Bühnenjubiläum und die 18-jährige Volljährigkeit als Geschäftsführer des Kabaretts. „Für den 8. März hatten wir eigentlich auch die erste Premiere des Jahres geplant … aber es ist nun mal Corona!“ Also muss „5 % Würde“ warten – ebenso wie das erfolgreiche Loriot-Programm, mit dem die „Pfeffermüller“ erfolgreich unterwegs waren und dessen Fortsetzung nun inzwischen auf 2022 geschoben wurde.
„Eigentlich sind wir alle heiß darauf, Kunst auf die Bühne zu bringen. Meinen 70. wollte ich mit einer großen Sause in der ’Pfeffermühle’ feiern“, überlegt Dieter Richter: „Aber im Moment geht es darum, das Kabarett am Leben zu erhalten.“ Und sich den thematischen Herausforderungen der Zeit zu stellen – etwa bei der Arbeit am bereits erwähnten Programm „5 % Würde“. Es geht um Sensibilität, um Rücksichtnahme und auch um Ehrlichkeit. Um Fragen wie „Was darf Humor heute alles machen? Wie weit darf Humor gehen?“, direkt gekoppelt mit dem Thema Sterben. „Natürlich ist dies angesichts der Corona-Pandemie die eigentliche Herausforderung für Kabarett, wie da die Balance zu finden ist“, meint er und ergänzt: „Aber genau genommen habe ich diese Verantwortung von Kabarett in meiner Arbeit immer mitgedacht.“ Und mit einem Lächeln ergänzt er: „Das Leichte, das schwer zu machen ist. Kabarett ist schon etwas ganz Eigenes: Da braucht es Humor und diese gewisse ernsthafte Leichtigkeit. Kann man dies auf die Bühne bringen, wird es ehrlich und dies spüren die Leute im Publikum.“
Erkenntnisse, aus denen eine Aufgabe wächst. Die Aufgabe des Weitergebens von Erfahrungen und Wissen – in der „Pfeffermühle“ schon zelebriert mit dem Jugendkabarett, aus dem ja mit André Bautzmann oder Elisabeth Sonntag aktuelle „Pfeffermüller“ hervorgegangen sind. Inzwischen hegt und pflegt Dieter Richter einen neuen Traum – das nächste Kinder- und Jugendkabarett, angesiedelt im „Walradus-Hof“ in Knautkleeberg. Auch so eine irgendwie verrückte Geschichte einer Zufallsentdeckung, aus der auf einmal die Idee einer neuen, festen Spielstätte gewachsen ist. „Für mich ist diese Zusammenarbeit ein echtes Herzensprojekt“, bekennt Dieter Richter und kommt ins Schwärmen. Erzählt von den ersten Gastspielen in Knautkleeberg im Sommer letzten Jahres und davon, dass man im alten Gewölbe-Gewächshaus nun eine Winterspielstätte aufbauen wollte – erst mal ausgebremst von Corona.
„Aber im Juli wollen wir den Startschuss für diese feste Kultur-Spielstätte am Rande der Stadt geben. Unter dem Arbeitstitel ’Grünes Gewölbe’. Genau genommen müsste man so etwas in allen vier Himmelsrichtungen am Leipziger Stadtrand starten.“ Und bei der Spielstätte soll’s ja nicht bleiben: Wie schon gesagt würde Dieter Richter in Zusammenarbeit mit ansässigen Schulen zu gern etwas aufbauen für den kabarettistischen Nachwuchs: „Natürlich geht es da um den Spaß an der Sache, aber wir wollen auch die Liebe zu Kultur und Satire vermitteln und auch das Interesse an der Auseinandersetzung mit Politik wecken.“
Kabarett als Lebensaufgabe – gewissermaßen. Als Fünkchen der Hoffnung auf kulturvollere Zeiten. Deshalb wird nach wie vor an „5 % Würde“ gearbeitet, die Proben laufen auf Hochtouren. Der Jubilar geht nach wie vor in den Infight mit Anträgen und bürokratischen Auswüchsen. Die „Pfeffermühle“ bleibt lebendig und optimistisch: „Wir ziehen unser Ding durch. Wir bleiben präsent – im letzten Jahr haben wir auch auf dem Marktplatz gespielt, als es noch möglich war. Und sobald das Wetter gut ist und wir wieder rausdürfen, spielen wir auch draußen wieder“, verspricht Dieter Richter. Und legt gleich nach: „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir dann mal eine große Sause machen und dabei alle aufgelaufenen Jubiläen raushauen.“ Könnte ein pickepackevoller Abend werden … Jens Wagner
Infos: www.kabarett-leipziger-pfeffermuehle.de