Er ist nicht mehr wegzudenken aus dem grün-weißen Trikot: Lukas Binder – hier im Duell mit Stuttgarts Torhüter Johannes „Jogi“ Bitter – wird das grün-weiße Leibchen auch noch 2025 tragen – aus Heimat-Verbundenheit, aber auch aus Dankbarkeit. Foto: Christian Modla

Leipzig. Mit einem breiten Lächeln startet Lukas Binder natürlich mit einem flotten Spruch: „Ich habe mich beinahe ein wenig über Paul Drux und Fabian Wiede geärgert, als die Beiden die Verträge bei den Füchsen Berlin kurz vorher verlängert hatten.“ Der Hintergrund liegt auf der Hand: In Sachen Vereinstreue und „Urgesteins-Haftigkeit“ kann eigentlich niemand dem Linksaußen des SC DHfK Leipzig das Wasser reichen – sieht man eben mal von den beiden genannten Berlinern ab …

Das Lächeln wird noch ein wenig breiter, als Lukas Binder nachlegt und klarstellt: „Nein, nein, das ist natürlich nur Spaß.“ Was bleibt, ist eine durchaus erstaunliche Geschichte. Die Geschichte eines Leipziger Kindes, das seit dem Jahr 2008 so ziemlich alle Höhen und Tiefen der grün-weißen Handballer hautnah und live miterlebt hat. Eine Geschichte, die in der A-Jugend begann und in der Bundesliga endete – weiterer Ausgang mit Blick nach oben, sprich das internationale Parkett nach wie vor offen. „Wenn man in seiner Heimat so tief verwurzelt ist und sich außerdem in den letzten Jahren so ein großes Netzwerk aufgebaut hat – das wirft man dann nicht wegen ein paar Euro mehr weg“, erzählt er mit Blick auf die Tatsache, dass er im Februar seinen Vertrag bei Leipzigs Bundesliga-Handballern bis 2025 verlängert hatte. Rechnet man dann noch die starken Auftritte des 28-Jährigen in der laufenden Spielzeit hinzu, sieht dies alles auf den ersten Blick nach einer astreinen Erfolgsstory aus. Doch gerade hier lohnt sich ein zweiter, genauerer Blick.

„Der Handball war mein Lebensretter. Aber er war auch der Grund, dass ich meine Schulkarriere gründlich verbockt hatte“, blickt er auf jenen Lukas Binder vor mehr als einem Dutzend Jahren zurück. Auf einen Kerl, von dem er heute nur wenig Gutes zu berichten hat. „Mann, war ich da ein arroganter Fatzke“, meint er mit einem Kopfschütteln: „Ich bin damals selbstverständlich davon ausgegangen, ein großer Handballstar zu werden. Und da spielte Schule überhaupt keine Rolle mehr. Aber das ging natürlich voll vor den Baum.“ Dabei war auch der Weg auf die Platte nicht zwingend vorgezeichnet, eher ein glücklicher Zufall: „Sport musste sein, ich komme ja aus einer Sportlerfamilie – aber ich hatte es schon mit Fußball, Schwimmen und so versucht. Nichts davon hat mich gepackt.“ Bis zur ersten Handballstunde, damals noch auf der „vollkommen falschen Position, Rechtsaußen. Aber danach habe ich zu meiner Mutter gesagt: Och, da würde ich noch einmal hingehen.“ Was – dies muss erwähnt werden – die größtmöglich vorstellbare Adelung einer Tätigkeit war, die sich der blutjunge Lukas Binder vorstellen konnte.

Da nähert man sich so langsam jenen spannenden Punkten, die die angesprochene Vertragsunterzeichnung in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt. Als eine Geschichte von Vertrauen und Rückhalt, von Dankbarkeit – von dem „Wahnsinn, was Karsten Günther alles für mich gemacht hat“. Denn dieses gerade angerissene Prinzip „kurze Aufmerksamkeitsspanne“ zog sich lange Zeit wie ein roter Faden durch das Leben des Linksaußen – diese kritische Selbstreflektion ist allemal da. „Wenn mir etwas nicht gefallen hat, bin ich einfach nicht mehr hingegangen“, was folgegerichtig diverse Probleme in der beruflichen Karriere mit sich brachte. „Jahrelang war ich einfach nur Sportler, ohne einen richtigen Beruf – weil ich immer wieder die Ausbildung geschmissen hatte“, nur einmal, beim Tischlern hatte es Lukas Binder gepackt, „aber diese Ausbildung ließ sich nicht mit dem Handball unter einen Hut bringen“.

Das ist inzwischen weit weg. Lukas Binder ist ausgebildeter Bürokaufmann, er hat es durchgezogen – gerade auch dank der Günther’schen Ausdauer. Und er hat sich generell durchgebissen, was im Rückblick dann doch auch gar nicht so einfach war. Mit einem Lächeln erzählt er von seinem – nun ja – gestörten Verhältnis zu Stefan Kretzschmar, lange Jahre ja als prägende Gestalt im Leipziger DHfK-Handball am Start. „Ach, was ist mir das auf den S… gegangen, das immer ein neuer Linksaußen gekauft und mir vor die Nase gesetzt wurde“, und weil er aus seinem Herzen nie eine Mördergrube gemacht hatte, brachte er dieses Thema auch mal bei einem Handball-Podcast zur Sprache. Und war erstaunt über die Reaktion von „Kretzsche“: Der schrieb prompt eine Nachricht mit folgendem Inhalt: „Ich wollte immer den besten Bindi, der möglich ist.“ Auch so ein Moment des Verstehens, sagt eben jener „Bindi“, der im Rückblick sagt: „Beim SC DHfK musste ich um jede Spielminute kämpfen. Und ich habe dabei Demut und Respekt gelernt – und die Motivation zu Höchstleistungen gegeben.“

Es gibt da eine Menge Punkte, die den Lukas Binder anno 2021 auszeichnen. Etwa die Tatsache, dass „ich heute der Uli Streitenberger bin. Dem bin ich bis heute so unglaublich dankbar, weil er mir so geholfen hat in meinen ersten Jahren beim SC DHfK. Jetzt ist es an mir, meine Erfahrungen an Marc Esche weiterzugeben“. Eine Verpflichtung, die der 28-Jährige ebenso ernst nimmt wie jene Erweiterungen des eigenen Horizonts, die nicht zuletzt angestoßen wurden von der Freundin. Raus aus der Falle des Profisports mit seinem gleichermaßen geregelten wie eintönigen Tagesablauf. „Jetzt machen wir in der Woche immer auch Bildungstage, um etwas frisch im Wirsing zu bleiben“, erzählt er mit einem Lächeln: „Zunächst musste ich mich zwingen, aber inzwischen brauche ich diese Struktur am Dienstag und Donnerstag regelrecht.“ Was auffällt, wenn sich Lukas Binder startklar macht für den sonntäglichen Podcast und im Rückblick klar wird, das diese Momente die wichtigsten in der Woche waren.“ Selbst die Corona-Zeiten bremsen da nicht aus – an die Stelle von Theater oder Museen treten dann eben das gemeinsame Doku-Gucken oder auch Bastelabende. „Futter für den Kopf“, unterstreicht er noch einmal nachdrücklich.

Denn dieser ist wichtig. Gerade auch für einen Profisportler, der obendrein auch noch auf einer – nun ja – außergewöhnlichen Position spielt. „Gerade auf den Außen ist mentale Stärke unglaublich wichtig“, und dann plaudert er freimütig aus dem Nähkästchen des Handballsports, berichtet von den Spielminuten, in denen man als Außen als Beobachter fungiert. Mit der Aufgabe, auf den Punkt bereit zu sein, auch in der 59. Spielminute: „Da gibt es Situationen, in denen man sich unbedingt wünscht, den Ball zugespielt zu bekommen. Und klar, es gab auch Spiele, in denen ich gedacht habe – jetzt bloß nicht den Ball zu mir. Aber diesen Gedanken muss man sofort rausschmeißen aus dem Kopf.“ Und nach einer Pause ergänzt er mit einem Lächeln: „Ich finde es schon krass, wie kopflastig dieser Sport dann auch ist.“

Irgendwie gehört das auch dazu, das eigene Tun zu verarbeiten. Stichwort Selbstreflektion – aus der man schon auch Stärke ziehen kann. Oder die Momente der Klarheit, von denen Lukas Binder spricht, wenn es auf das Wörtchen Glück kommt. „Ich bin dabei, jene entscheidenden Momente von Glück zu verarbeiten – auch angestoßen von meiner Freundin, die mir als Schauspielerin jene Parallelen zwischen Sport und Kunst aufgezeigt hat, in denen es um das Quäntchen Glück geht.“ Und er ergänzt: „Es ist nicht nur eine Sache von Talent oder Arbeit. Ohne Glück wird es auch nix.“

Wovon Lukas Binder viel zu erzählen weiß. Von dem Glück, damals in der 3. Liga jenen Trainer zu haben, der ihn förderte. Und vor allem spielen ließ, „obwohl da einer auf der Linksaußen-Position da war, der einfach besser war“. Oder da war dieser Moment, als „ich als junger Hüpfer bei den Füchsen Berlin zum Probetraining war. Und die mich vermutlich auch verpflichten wollten – aber es hatte menschlich überhaupt nicht gepasst“. Nach einem kurzen Lächeln zieht er Bilanz: „Wer weiß, wie die Sache gelaufen wäre ohne diese Momente. Vielleicht hätte ich dann den Sprung nicht geschafft bis in die Bundesliga.“

Und dann Sekunden nicht erlebt, die sich eingebrannt haben. Die grandiosen Momente, als Lukas Binder seine Grün-Weißen als Kapitän auf die Platte führte zum allerersten Bundesliga-Spiel („Damit hatte sich mein größter Traum erfüllt.“) oder dabei war beim Final-Four um den DHB-Pokal. Aber auch dies ist bemerkenswert – es sind die Team-Momente, die da eine Rolle spielen. Alles eine Frage der Sozialisation: „Wenn man beim SC DHfK groß geworden ist, dann geht es nicht um das Ego.“ Und genau aus diesem Grund ist der Linksaußen schwer darauf bedacht, jenen Traum vom internationalen Parkett noch einmal neu einzusortieren: „Ich muss dies nicht für mich erreichen, das ist nicht der Punkt. Aber ich werde alles für diesen Traum geben – für die Truppe, für den Verein, für Karsten Günther.“

Es sind also so viele Gründe, die unter der „Urgestein-Haftigkeit“ von Lukas Binder zu finden sind. Ein weiterer wurde gefunden bei einem Rum auf der Terrasse und dem Blick in die Sonne. Nebendran saß Patrick Wiesmach und mit am Tisch die Frage nach dem „Danach“. Nach dem Leben nach dem Handball. „Und dann saßen wir beim Notar und haben unsere Puls Leipzig GmbH gegründet“, erzählt er von seinen ersten Schritten als Start-Up-Unternehmer. „Die Idee dieser Online-Plattform für die Gastro- und Eventbranche ist etwas, was ich mir gut vorstellen kann. Und auch wenn uns Corona zunächst einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, sehe ich die Sache positiv: Dies hat uns noch einmal etwas mehr Zeit gegeben.“ Im Sommer – so ist der Plan – soll der offizielle Startschuss fallen und die Aufregung wächst: „Das ist genauso aufregend wie vor einem wichtigen Spiel.“

Wobei der Handball – erklärter Lebensretter! – schon noch eine große Rolle spielen wird. Klar, bei diesem Nervenkitzel und der permanenten Herausforderung. „Das fühlt sich einfach real an“, meint Lukas Binder zur Faszination des Sports: „Das hat etwas von zwei wildgewordenen Teams, die aufeinander losgelassen werden. Mit vollem Körperkontakt und der unbedingten Überzeugung, dass man stärker ist als der Gegner.“ Und dann kommt er doch noch einmal, der Blick über den Leipziger Tellerrand: „Natürlich reizt mich die Vorstellung, mal in einem anderen Verein zu spielen. Andererseits entdecke ich derzeit in Leipzig ganz viele neue Seiten, die ich noch nicht kenne.“ Den flotten Spruch mit einem breiten Lächeln gibt es zum Abschluss aber auf jeden Fall: „Tja, aber irgendwie ist die Idee schon da, die Handball-Karriere in einem anderen Land ausklingen zu lassen. Dann aber in einer wirklich schönen Gegend, in Portugal oder Südfrankreich vielleicht.“ Naja, bis 2025 hat Lukas Binder noch Zeit, sich die Gegend in aller Ruhe auszusuchen … Jens Wagner

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