Corona mal ganz anders. Anders definiert, anders interpretiert und anders verstanden – so kann man es wohl auf den Punkt bringen, wenn es um die (künstlerische) Auseinandersetzung mit dem Wort geht, die aktuell in diesen Tagen von Silke Silkeborg gepflegt wird. Denn C(K)orona ist ja nicht gleich Virus, „sondern eben auch der leuchtende Kranz um den Mond“. Den hat sie entdeckt, nicht nur den Kranz, sondern auch den Mond selbst, in all seiner Klischeehaftigkeit und dies auch noch direkt vor der eigenen Leipziger Ateliertür …
„Spooky“, sagt sie mit einem Lächeln. Über die Zeit, in der sie das Spinnereigelände mal ganz neu kennengelernt hat – nicht als künstlerischen Hotspot voller Trubel, sondern als stilles, einsames, verlassenes Gelände. Ein Gelände, das auf einmal einen ganz anderen Charakter entfaltet. Und eines, über dem der Mond strahlt in wunderbarer Intensität. Was für eine Entdeckung! Die ja genau genommen eine Wiederentdeckung ist, wie Silke Silkeborg erzählt: „Als ich angefangen habe, war der Mond ziemlich oft ein Thema für mich. Und ich kann sagen, dass diese Bilder auch ganz schön beliebt waren. Aber dann gab es diesen Moment, an dem es nicht mehr ging – weil ich an die Romantik-Klischees gestoßen bin. Aber wenn man die aktuelle Situation reflektiert mit einem Begriff wie Corona, dann fängt man an, sich auf einmal ganz neu mit dem Mond auseinanderzusetzen.“
Der angerissene Begriff „Anfang“ ist ein gutes Stichwort, um die Künstlerin Silke Silkeborg – nun ja – zu erklären. Sie ist eine Malerin, die ausschließlich in der Nacht arbeitet. Und zwar draußen in der freien Natur – zumindest findet sie dort ihre Themen, ihre Inspirationen und Motive. Aber – das Genre „Pleinair“ oder „Freiluftmalerei“ hört sie nicht so gern. „Wenn, dann schon Freidunkelmalerei“, sagt sie mit einem Lächeln und ergänzt mit Ernsthaftigkeit: „Aber eigentlich ist die Idee eine ganz andere: Weg von dem realistischen Ansatz hin zu einer Befragung der Wirklichkeit.“ Womit sich letztlich der Anfang dieser nachtmalenden Karriere auf eine gleichermaßen spannende wie schwierige Frage reduzieren lässt. „Was sehe ich da wirklich?“
Aus zwei gewichtigen Gründen lag es nahe, in die Nacht zu gehen. „Ich war schon immer ein Nachtmensch – und schon im Studium habe ich die Chance gern genutzt, die ganze Nacht zu arbeiten“, erzählt Silke Silkeborg und ergänzt: „Und dann war da noch die Beschäftigung mit den Tieren – gestolpert bin ich über die Fledermaus: Angetrieben davon, andere zu verstehen, habe ich mich dann gefragt – wie sieht eine Fledermaus eigentlich in der Nacht?“ Als sie dann angefangen hatte, anfangs mit kleinen Holztäfelchen, nur ein paar Zentimeter groß („Damit ich schnell weglaufen kann. Ja, ich hatte anfangs schon Angst in der Dunkelheit. Aber dann kam der Moment der Erkenntnis: Ich muss keine Angst haben – die Angst haben die anderen in der Nacht schon vor mir mit meiner Stirnlampe.“), war sie schnell geweckt, diese Faszination, die antreibt bis zum heutigen Tag oder besser gesagt zur heutigen Nacht. „In der Nacht fällt das Überangebot an Gucken weg“, sagt sie mit einem Lächeln und ergänzt: „Wobei in der Dunkelheit aber auch eine wichtige Rolle spielt zu wissen, dass da eigentlich etwas ist.“ Mit einem anderen Wort gesagt – es geht um Ambivalenz. In vielerlei Hinsicht – zwischen dunkel und hell, sichtbar und unsichtbar, schön und abstoßend.
Diese Auseinandersetzung ist geblieben, bis hinein in die ganz aktuelle „Corona-Chronologie“, die bis in den Juni hinein fortgeschrieben werden soll. Gut, die Formate haben sich verändert – an die Stelle der kleinen Holztäfelchen ist mittlerweile auch das raumgreifende Format getreten. „Das Material für das nächste Großformat ist schon gekommen“, deutet sie auf einen Stapel Pakete im Spinnerei-Atelier. 3,30 Meter mal 5,20 Meter groß soll es werden, als Nachfolger von „Hell – Die Beleuchtung der Welt“, an dem sie drei Jahre lang gearbeitet hat. Was so eigentlich nicht geplant war, „aber jedes Bild braucht nun einmal seine Zeit. Manchmal muss ich einfach auch einmal so lange warten, bis ich weiß, wie es weitergeht“. Das Bild als lebendiges, eigenständiges Wesen gewissermaßen – ja, das gibt es schon, dieses Eigenleben von Kunstwerken in der Entstehung, sagt Silke Silkeborg mit einem Lächeln.
Was dann aber auch schon mal schwierige Momente mit sich bringt. Sperrige Situationen, an denen es eben nicht weitergeht. Das Scheitern, sagt sie voller Selbstverständlichkeit, gehöre nun einmal dazu bei der künstlerischen Arbeit. Ebenso wie die Momente des Zweifelns: „Jeder Künstler kennt diesen Moment, an dem man kopfschüttelnd denkt: Mensch, was mache ich hier für einen Wahnsinn – mein ganzes Leben stecke ich nur in die Kunst. Oder die Situationen, in denen das Malen keinen Spaß macht. In denen man nicht weiß, was das Bild will. Aber ich finde, es braucht diese Momente eben auch. Diese Selbstbefragung, auch das Kämpfen in einem unheimlich langsamen Medium.“
Und dann gibt es aber auch die belohnenden Augenblicke. Da erzählt Silke Silkeborg von jenem Paar, das sie vor „Hell – Die Beleuchtung der Welt“ beobachtete. „Er ist immer wieder vor- und zurückgegangen – weg vom Bild und ganz dicht dran. Und dann hat er sie ebenfalls mitgenommen – weg und ganz dicht ran“, meint sie – erfreut darüber, dass die beiden ein Stück weit das Wesentliche gefunden hatten: Das riesige Bild (immerhin 3,60 Meter mal acht Meter groß!) besteht dann doch aus unzähligen kleinen Pinselstrichen – „ganz schön nerdig“, wie sie lächelnd erklärt. Aber auch wichtig für das Verständnis. „Ein großes Bild“, sagt sie, „muss man sich erarbeiten.“ Tja, die Ambivalenz. Hier zwischen einer Kontinuität im Thema Nacht und einem stetigen Wechsel der Formate und Perspektiven. Silke Silkeborg hat die Nacht in vielen Situationen erlebt – im Blick aus einer Höhle im Harz auf einen Wald, der in der Dämmerung verschwindet. Die Suche nach den Leuchtkäfern, die sie genau genommen überhaupt erst nach Leipzig gebracht hat: „Ich hatte gehört, dass es im Auenwald ganz viele geben soll.“ Und inzwischen auch der Blick aus der Vogelperspektive, der sich eben in jenem „Hell“ widerspiegelt. „Auf einmal ist Leipzig eine ganz andere Stadt“, beschreibt sie das eigene Erstaunen: „Dann bekommen Dinge eine Relevanz, die am Tag unwichtig erscheinen. Und anders herum.“
Längst hat Silke Silkeborg damit angefangen, diese Gedanken auch zu fixieren. In eigenen Texten, die gewissermaßen die Bilder ergänzen. Passiert ist dies auch erst einmal aus einer zufälligen Notwendigkeit heraus, weil ein Diplomtext geschrieben werden musste, vor mittlerweile elf Jahren. „Also habe ich einfach aufgeschrieben, was ich erlebt hatte“, erzählt sie und ergänzt: „Inzwischen gehört dies für mich zum künstlerischen Prozess zwingend dazu, um das Bild als Momentaufnahme mit eben diesem Prozess zu verbinden. Diese schriftliche Reflektion über die Fragen, die ich an die Dinge habe. Und über die Merkwürdigkeiten, die auf mich einwirken.“ Mittlerweile, sagt sie lächelnd, ist sie geradezu eine Sammlerin von Merkwürdigkeiten rund um die Nacht geworden. „Es gibt durchaus Menschen, die mich teilhaben lassen an ihren eigenen Erlebnissen in der Nacht – die mir ihre Geschichten über die Nacht erzählen, ihre Fotos zeigen“, und dann erzählt sie, wie sie in ein langes Gespräch kam, mitten in der Nacht auf dem einsamen Spinnereigelände, mit einem Security-Mann, der seine ganz eigene Geschichte erzählen konnte über das individuelle Verhältnis zur natürlichen Dunkelheit …
Das entschädigt dann schon für diesen auch künstlerischen Shutdown. Dafür, dass sie beispielsweise ein bewegendes Projekt erst einmal schieben musste. Eines, das sich das Klischee der Nacht als dunkler Raum ohne Hoffnung und Ausweg ganz bewusst nutzbar machen wollte. „Aber jetzt kann ich ja doch bald wieder nach Frankreich fahren“, überlegt Silke Silkeborg. An jene Orte, an die Menschen wie Thomas Mann fliehen mussten vor den Nationalsozialisten. Die Nacht als Bild für die Dunkelheit des Exils. „Das Malen um des Malens willen hat mir nie genügt“, sagt Silke Silkeborg sehr ernsthaft: „Und durch die Journalberichte hat sich dieser Ansatz verstetigt.“
Es gibt noch so viel zu sehen, so viel zu entdecken – bei allem, was sie schon gefunden hat in der Nacht. Das irritierende Flackern des künstlichen Lichts, das Lebendigkeit vorspiegelt – beispielsweise. Die Leuchtkraft von Papiertaschentüchern in der Dunkelheit. Und das Phänomen, das man selbst in absoluter Finsternis irgendwann anfängt, Dinge zu sehen. „Was sehe ich wirklich“, es ist diese Frage, die Silke Silkeborg umtreibt. Auch reflektiert mit dem eigenen Wissen, der eigenen Geschichte: „Mein Erobern der Nacht ging einher mit meinem Raupendasein beim Studium, in dem ich mich quasi durch die Kunstgeschichte gefressen habe.“ Hängengeblieben ist von Letzterem ein Ballast aus Lust und Leid – das Gute des Wissens, gepaart mit dem Drang, der Reproduktion des Bekannten aus dem Weg zu gehen. Keine schlechten Voraussetzungen für Neuentdeckungen aller Art zwischen Leipzig, Hamburg und allen nächtlichen Orten dieser Erde.
Ach ja – die Ambivalenz zwischen Leipzig und Hamburg. Die gibt es ja auch, wenn man mal einen Blick auf die Verfasstheit der Kunstszenen schaut. Aus dem Fenster lässt Silke Silkeborg den Blick über die Spinnerei schweifen (geht gut, das Atelier liegt im ersten Stock) und erzählt: „Eigentlich ist dies ja ein echtes Paradies: Mehr als 100 Künstler auf engstem Raum, das kam mir vor wie die Fortsetzung der studentischen Campus-Idee.“ Aber dann kam die erstaunliche Erkenntnis – das künstlerische Leipzig ist doch eher introvertiert, zurückgezogen. Spannend, sagt sie: „Ich komme ja aus der total extrovertierten Schule, habe bei Werner Büttner studiert und da gelernt, dass man laut sein muss.“ Nach einem Moment des Überlegens fügt Silke Silkeborg hinzu: „Vielleicht brauche ich deshalb diese zwei Städte, weil ich diese beiden Pole, das Introvertierte und das Extrovertierte auch so in mir habe.“ Jens Wagner
Aktuell kann man noch bis zum 16. August die verlängerte Ausstellung „Nacht um Nacht“ mit Silke Silkeborg und Werken von Hermine und Fritz Overbeck im Overbeck-Museum in Bremen sehen.